Mit Growth Hacking zu nachhaltigem Wachstum für Kulturbetriebe 

 März 25, 2022

von  Christoph Tautscher

Seit ich an der FHWien der WKW für die Forschungskommunikation zuständig bin, lerne ich auch viel über den aktuellen Stand der Management- und Kommunikationsforschung und bekomme Einblicke in deren Anwendung in Lehre und Praxis.

So beschäftigen sich meine Kolleg:innen im Department of Communication schon vor einiger Zeit mit dem Thema Growth Hacking. Für weitere Einblicke habe ich im Text die vierteilige Growth Hacking Serie verlinkt.

Begrenzte Ressourcen - sofortige Wirkung

Bisher war Growth Hacking für mich vor allem ein weiteres Buzzword. Die nächste Sau, die durchs "Onlinemarketing-Dorf" getrieben wird. Nichtsdestotrotz haben mich meine Kolleg:innen neugierig gemacht. Und so habe ich mir das Thema einmal genauer angeschaut - aus Sicht der Kulturbetriebe.

Denn wie so oft stellt sich heraus, dass Growth Hacking eigentlich nichts Neues ist. Im Prinzip geht es darum, mit möglichst wenig Ressourcen möglichst viel Wirkung bzw. Wachstum zu erzielen.

Growth-Hacking-Initiativen sind jedoch ...

  • keine großen, teuren und langfristigen Projekte, 
  • sondern relativ kleine, zeitlich begrenzte und kostengünstige Interventionen (Hacks)
  • deren Wirkung unmittelbar überprüft wird.

Das klingt aus dem Alltag der Kulturarbeit durchaus vertraut. Angesichts begrenzter zeitlicher, finanzieller und personeller Ressourcen müssen sich Kulturbetriebe auch bei der Ankündigung und Bewerbung ihrer Veranstaltungen etwas einfallen lassen. Die Bandbreite reicht von klassischen Rabattaktionen und Last-Minute-Support der Künstler:innen über Guerilla-Marketing-Stunts (z.B. Flashmobs) im öffentlichen Raum bis hin zu (hoffentlich) viralen Online-Aktionen.

Soweit die "Gemeinsamkeiten". Denn der kreative Aktionismus bricht oft erst dann aus, wenn einzelne Veranstaltungen "es noch brauchen" - sprich: zu wenig Tickets verkauft wurden. Nicht selten hangelt man sich in einer Saison von einer Feuerwehraktion zur nächsten. Dabei wird jedoch kreative Energie verbrannt, die besser in eine langfristige und nachhaltige Entwicklung investiert worden wäre.

An den eigenen Zielen wachsen - inhaltlich und finanziell

Denn der Grundgedanke von Growth Hacking ist einfach: Das Ziel jeder Entscheidung im Kulturbetrieb ist Wachstum. Aus ökonomischer Sicht ist das natürlich die Anzahl der verkauften Tickets. Zu einer langfristigen Publikumsbindung gehört aber auch das Wachstum der Community (z.B. Newsletter-Abonnent:innen) oder Sponsoringaktivitäten.

Und auch kulturelle oder kulturpolitische Bereiche können wachsen. Etwa durch die Schärfung des programmatischen Profils, die Erweiterung des thematischen Spektrums oder die Intensivierung der politischen Lobbyarbeit.

Doch in der Realität bleibt die Zahl der verkauften Eintrittskarten am Ende oft die einzige - wenn auch überlebenswichtige - Kennzahl, an der Erfolge gemessen werden. Eine Analyse, mit welchen Marketing- oder Werbeaktionen der Ticketverkauf erreicht wurde, bleibt dabei auf der Strecke. Und das, obwohl die meisten Tickets - vor allem im Vorverkauf - bereits online verkauft werden. Damit wäre zumindest der letzte Schritt relativ einfach nachzuvollziehen. Wenn die meisten Tickets im Vorverkauf noch nicht online verkauft werden, hat man mittelfristig ohnehin ganz andere Probleme.

Kurzum: Die Planung und Steuerung des Programmangebots und der Kommunikationsmaßnahmen sollte auch in Kulturbetrieben auf fundierten Daten beruhen. Und diese lassen sich am einfachsten und kostengünstigsten mit digital messbaren Kennzahlen gewinnen.

Teil 1 der FHWien der WKW Artikelreihe I Growth Hacking: Großes Wachstum zum kleinen Preis

Datenanalyse beim Growth Hacking

Planen, umsetzen, analysieren

Wie sieht das in der Praxis aus? Ziel ist es, auf Basis fundierter Daten die richtigen Schritte für mehr Wachstum zu setzen. Das können inhaltliche Schritte sein. In erster Linie konzentrieren wir uns aber darauf, die Kommunikation des bestehenden Angebots zu verbessern, um das richtige Publikum anzusprechen.

Zuerst schauen wir uns an, welche Daten wir bereits von unserem Publikum haben. Das können allgemeine Informationen von den Vorverkaufsstellen sein. Zum Beispiel:

  • Wann und wo werden die Tickets normalerweise gekauft?
  • Welche Zielgruppe (Alter/Geschlecht) kauft Tickets für die jeweiligen Veranstaltungen.

Dazu kommen einfache Auswertungen bekannter Daten der Kund:innen:

  • Welche Veranstaltungen wurden bereits besucht bzw. Karten dafür gekauft?
  • Welche Newsletter-Artikel wurden angeklickt?
  • Welche Social Media Posts werden häufig geliked und vor allem geteilt?

All diese Informationen liefern erste Key Performance Indicators (KPI), um das Publikum gezielter über das aktuelle Angebot zu informieren. Je besser die bestehenden Daten der potentiellen Kund:innen (z.B. Newsletter-Abonnent:innen) und der bestehenden Kund:innen (z.B. Kaufhistorie im Ticketshop) aufbereitet sind, umso einfacher und effizienter lassen sich Verkaufsaktionen planen, umsetzen und analysieren.

Digitales Know-how für eine erfolgreiche Kommunikation

Für diesen Kreislauf aus Planen, Umsetzen und Analysieren braucht es etwas digitales Know-how.  Natürlich hilft es, wenn Programmierkenntnisse vorhanden sind. Dabei ist es grundsätzlich egal, ob man diese bereits im Haus hat oder auf externe Dienstleister:innen zurückgreift.

Allerdings nimmt die Flexibilität ab, je mehr man auf externe Hilfe angewiesen ist. Umso wichtiger ist es, die richtigen Systeme auszuwählen. Diese sollten einerseits einen möglichst reibungslosen Datenaustausch gewährleisten - z.B. vom Newsletter über die Website zum Ticketshop.

Andererseits sollte das System auch von Personen ohne Programmierkenntnisse bedient und angepasst werden können. Im Idealfall gibt es ein übergreifendes Customer Relationship Management (CRM) System, das alle Daten sammelt und die notwendigen KPIs für Aktionen zur Verfügung stellt. Wir sehen also, dass auch ohne Programmierkenntnisse eine gewisse "Datenaffinität" notwendig ist, um Growth Hacking im Kulturmarketing umzusetzen.

Noch wichtiger ist es jedoch, das Publikum und seine Motive zu verstehen. Erfolgreiche Werbe- und Kommunikationsmaßnahmen werden aus der Perspektive eines interessierten Publikums geplant und nicht aus der Not einer schlecht verkauften Veranstaltung zusammengeschustert. 

Die Arbeit mit einem möglichst lückenlosen System, das auf fundierten KPIs basiert, eröffnet vielfältige Möglichkeiten, mit Angeboten, Kommunikationskanälen und Medien zu experimentieren

  • Was funktioniert, wird weiterentwickelt. 
  • Was nicht funktioniert, wird angepasst oder eingestellt.

All das tun Kulturbetriebe bereits. Aber es geschieht noch zu oft "aus dem Bauch heraus". Eine Methode, die auf Dauer nicht erfolgversprechend ist. Vor allem, wenn man die schwindende Präsenz in den klassischen Medien, die schwierigen Rahmenbedingungen für Förderung und Sponsoring und den immer stärker werdenden Wettbewerb um die Aufmerksamkeit des Publikums bedenkt.

Teil 2 der FHWien der WKW Artikelreihe I Growth Hacking ist (k)eine Wissenschaft

Was wäre, wenn Growth Hacking auch für Kulturbetriebe interessant ist?

Was wäre, wenn ... sich das Publikum für unser Programm interessiert?

Auch wenn das alles bisher sehr zahlenlastig, technisch und trocken klingt, steckt viel Kreativität in der Suche nach den richtigen Wachstumsschritten. Ist das entsprechende System von KPIs und deren Messung und Analyse erst einmal etabliert, beginnt der spannende Teil des Weges.

Der entscheidende KPI ist immer: Was interessiert das Publikum wirklich? Hier ist die Kreativität des Kulturbetriebs gefragt. Meine FH-Kolleg:innen stellen dazu im 3. Teil ihrer Growth Hacking Reihe die einfache Frage:

Was wäre, wenn ...

  • wir neues Publikum durch günstigere Themenabonnements mehrmals zum Besuch einer Veranstaltung einladen?
  • wir Stammkund:innen mit Spezialangeboten für ihre Treue belohnen?
  • wir Förderstellen und potentielle Sponsor:innen über den Mehrwert unserer Arbeit informieren?
  • wir den Erfolg des Kartenverkaufs in den Printmedien durch Rabattbestellcodes im gedruckten Programmheft überprüfen?

Mit den richtigen und nachvollziehbaren KPIs können immer wieder neue Fragen gestellt und beantwortet werden. Mit den gesammelten Antworten können die nächsten Schritte und Ziele besser geplant werden. Mit jeder Frage wandelt sich die Community vom "unbekannten Wesen" zum "interessierten Publikum", das vom Kulturbetrieb mit den richtigen Inhalten versorgt wird.

Content first! Der richtige Inhalt ist entscheidend

Sobald wir wissen, wie wir den Erfolg unserer Kommunikationsmaßnahmen messen können, geht es an die Kommunikation. Dabei stehen die Inhalte im Vordergrund:

  1. Welche Inhalte interessieren unser Publikum?
  2. Über welche Kanäle erreichen wir sie?

In dieser Phase geht es darum, mit möglichst wenig Ressourcen möglichst viele messbare Ergebnisse zu erzielen. Eine Analyse der bereits kommunizierten Inhalte hilft, sich einen Überblick zu verschaffen. Am besten beginnt man mit den eigenen Kommunikationskanälen (z.B. Website, Newsletter etc.). Diese lassen sich genauer analysieren als externe Kanäle (z.B. Social Media Plattformen, PR-Aktivitäten etc.). 

Ein weiterer entscheidender Punkt ist, welche Medien (Texte, Bilder, Videos, ...) zur Verfügung stehen bzw. welche Formate am einfachsten selbst produziert werden können. Hinzu kommt die Frage: Welches dieser Medien funktioniert auf welchem Kanal besonders gut?

"Was wäre wenn ...?" Fragen gibt es genug. Zur Beantwortung bieten digitale Plattformen und Kanäle einfache Analysefunktionen wie (Öffnungsraten, Verweildauer, Likes und Interaktionen), die schnell ein erstes Bild der aktuellen Situation liefern können.

Und selbst wenn man auf einer Plattform noch nicht vertreten ist, kann der Einsatz geringer finanzieller Mittel für Werbeanzeigen einen ersten Eindruck vermitteln. Die Resonanz zeigt, wie viel potentielles Publikum über diesen Kanal erreicht und aktiviert werden könnte.

Teil 3 der FHWien der WKW Artikelreihe I Welche Channels bespielen im Growth Hacking?

Growth-Kultur kann zu einem nachhaltigen Wachstum führen

Fazit: Wie kann Growth Hacking Kulturbetrieben helfen?

Wann ist Growth Hacking für Kulturunternehmen sinnvoll? Meiner Meinung nach IMMER. Auch wenn viele Kulturbetriebe bereits kreative Ansätze schnell und flexibel umsetzen, um mehr Publikum zu erreichen. Meist bleibt es bei einem Ansatz, weil oft

  • keine klaren und messbaren Ziele definiert werden. Aber nur diese führen zu konkreten Ergebnissen.
  • die Ergebnisse nicht ausreichend analysiert werden. Aber erst diese Erkenntnisse führen zu den nächsten Schritten.

Growth Hacking hilft Kulturbetrieben, neue Potenziale in Angebot und Publikum zu entdecken und sofort zu erschließen. Diese Möglichkeiten schlummern entlang der Customer Journey - von der Neukund:innen-Gewinnung über die Aktivierung von Gelegenheitskund:innen bis hin zur Pflege von Stammkund:innen.

Da schnelle Erfolge ("Quick Wins") und eine prozessorientierte Herangehensweise zum Wesen des Growth Hacking gehören, ist ein langfristiger Image- oder Markenaufbau kein Anwendungsgebiet. Dennoch sollte der Prozess als Marathon verstanden werden. Auch dieser erfordert eine gute Vorbereitung (ein stabiles Datenanalysesystem) und Ausdauer, um nicht nach wenigen Durchläufen aufzugeben.

Noch einmal: Die richtige Zielsetzung kann auch in kleinen Testprojekten oder nur mit Teilen des Teams erprobt werden. Die im Kleinen gemachten Erfahrungen können mit der Zeit größere Kreise ziehen und so peu à peu Einzug in den laufenden Kulturbetrieb halten. Auch ist eine durchgängige Digitalisierung nicht notwendig - wenn auch hilfreich. Eine einfache Abfrage von Informationen an der Kasse lässt sich leicht mit "Strichlisten" erfassen. Die Übertragung in ein digitales Auswertungssystem bleibt aber auch hier nicht erspart.

Growth Hacking ist ein kontinuierlicher Trial-and-Error-Prozess, bei dem schnelle Ergebnisse lange Irrwege verhindern. Und selbst wenn man sich einmal verirrt, hält sich der Verlust in Grenzen. Aber auch hier werden Erfahrungen gemacht und Lehren gezogen. Dazu braucht es neben der erwähnten Datenaffinität auch ein paar Grundlagen des Onlinemarketings. Vor allem aber braucht es eine Wachstumskultur im Kulturbetrieb, in der systematisches Denken, Experimentierfreude, Risikobereitschaft und Kreativität zu nachhaltigem Wachstum führen.

Habt Ihr schon Erfahrungen mit Growth Hacking gemacht? Im Kulturbetrieb oder einem anderen Umfeld? Was hat Euch weitergebracht? Was hat gar nicht funktioniert? Ich freue mich über Eure Einschätzung in den Kommentaren.

Zum Abschluss möchte ich mich noch bei meinen Kolleg:innen der FHWien der WKW für die Artikelreihe bedanken, die Inspiration für diesen Artikel waren. Hier noch einmal die Links zu allen vier Kapiteln:

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Christoph Tautscher

online.marketing.kommunikation

Seit über 25 Jahren bin ich im Online-, Medien- und Kulturbereich aktiv. Meine Erfahrung sammelte ich als Online-, Radio- und Print-Redakteur, sowie als PR- und Marketing-Manager u.a für das Jazz Fest Wien und die Jeunesse Österreich.

2018 erhielt ich meinen Master im Bereich „Marketing und Vertriebsmanagement“ an der FHWien der WKW zum Thema „Onlinemarketing für Kulturbetriebe“. Aktuell bin ich u.a als Kultur- und Onlinemarketing-Experte tätig und koordiniere die Forschungskommunikation an der FHWien der WKW.

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